Philosophie
Philosophie (griechisch φιλοσοφία, [philosophia], wörtlich »Liebe zur Weisheit«) ist eine Strukturwissenschaft, die die Grundstrukturen des Seienden aufzeigt oder die Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Erkenntnis- und/oder Sprachvermögens auslotet und die durch den Menschen gewonnenen Erkenntnisse in einer methodischen Gesamtschau hinsichtlich einer übergreifenden Deutung der Welt und der menschlichen Existenz systematisiert resp. kritisiert. Da jede Definition von „Philosophie“ ihrerseits als Ergebnis philosophischer Überlegungen anzusehen ist, kann auch eine um Objektivität bemühte lexikalische Darstellung nur in Näherung befriedigend ausfallen.
Nach einem bereits bei Plato und Aristoteles zentralen Gedanken fängt das Philosophieren mit dem Staunen an. Exemplarisch schreibt Aristoteles: „Denn durch das Staunen haben die Menschen sowohl jetzt als auch immer schon angefangen, zu philosophieren“ (Met, I,1, 982b 12-13 ). Dabei staunt der Philosoph nicht über das vordergründig Außergewöhnliche, sondern über Alltägliches, denn in unserem natürlichen Weltverhältnis machen wir ständig unhinterfragt von den erstaunlichsten Dingen Gebrauch: Wir sprechen konkreten Dingen Allgemeinbegriffe zu (sind also zur Muster(wieder)erkennung fähig), ziehen Schlüsse aus Beobachtetem, ordnen Phänomene in eine Zeitleiste ein, wir bewerten unseren Gegenüber und werden von ihm bewertet, leben in einer Gesellschaft, die bestimmte Regeln aufstellt etc. - was berechtigt uns eigentlich, solche Schlüsse zu ziehen (und welche Instanz fordert uns unsere Legitimation ab)? Woher kommt die zu beobachtende Regelhaftigkeit (existiert sie überhaupt)? Wer ist der Andere, wer sind wir eigentlich (sind wir ihm, sind wir uns etwas schuldig)? Überhaupt: wie ist eine „Was ist ein X“-Frage zu verstehen? Wie sind solche Fragen zu beantworten? Was ist Denken eigentlich für eine Tätigkeit? Was ist Denken, was Wahrnehmen? Ist alles Lug und Trug? Freimut Hauk spricht von der „existentiellen Betroffenheit“, die zu solchen Fragen führe (Hauk, 1998). Diese existentielle Betroffenheit setzt nun in irgend einer Form Reflektiertheit voraus. Denn nicht dass wir Muster wiedererkennen können, uns regelgeleitet verhalten etc. veranlaßt uns, über diese Musterwiederkennung etc nachzudenken (auch Insekten können offenbar Muster wiedererkennen, auch sie verhalten sich regelgeleitet etc.), sondern die Tatsache, dass uns diese Fähigkeiten in irgend einer Form auch präsent sind, dass wir uns ihrer als Teil unserer selbst auch bewusst sind. Diese existentielle Betroffenheit hat den Menschen im der uns überlieferten Geschichte immer schon veranlasst, Antworten zu formulieren und diesen Antworten zB religiös und/oder künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Philosophie unterscheidet sich von Religion oder Kunst nicht dadurch, Antworten auf diese Fragen zu suchen, sondern dadurch, diese Fragen möglichst voraussetzungslos, durch pures Argumentieren, zu geben.
Systematisch kann Philosophie dabei verstanden werden als der Versuch, Thesen und Theoreme darüber, „was die Welt/im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust) rational zu untersuchen und ggf. zu begründen, ohne sich unreflektiert auf außervernünftige Instanzen (das Göttliche, die Irratio) stützen zu müssen, also vernünftige Überlegungen anzustellen, die lediglich auf (selber auch jederzeit kritisch zu hinterfragenden) Regeln vernünftigen Denkens/Sprechens basieren. Das schließt nicht aus, schlussendlich im Rahmen philosophischer Überlegungen doch wieder bei außervernünftigen Instanzen zu enden (etwa Schopenhauers »Wille«, Nietzsches »Wille zur Macht« etc.) und somit das Ideal letztbegründeter, vernünftiger Philosophie metakritisch zu destruieren. Insofern kann man mit Faerber sagen, dass Philosophie die Lehre von den ersten Gründen und Ursachen ist (Faerber, 1998), wobei es offen bleibt, ob sich im Rahmen dieses Forschungsprojektes erste Gründe und Ursachen herauskristallisieren (was Faerber selber z. B. dartun will), oder ob sich die Suche nach ihnen als obsolet erweist. Konzepte, die die ersten Gründe und Ursachen kritisch fundiert ausweisen, heißen auch prima-philosophia-Konzepte (worunter nicht nur die gesamte klassische Metaphysik fällt, sondern auch etwa Kants kritische Theorie oder, im 20. Jhdt. Peter Strawsons deskriptive Metaphysik), Verfahren, die den Anspruch, erste Gründe und Ursachen angeben zu können, destruieren („dekonstruieren“), heißen auch metakritische Verfahren (Markos, 1986); ihr zweifellos einflußreichster Vertreter ist Friedrich Nietzsche, heute wäre die französische Postmoderne, aber auch Richard Rorty zu nennen. Metakritische Verfahren versuchen für gewöhnlich, allen geschlossenen Theorien versteckte, unhinterfragt und also im Gegensatz zum Eigenanspruch unbegründet eingegangene Grundannahmen nachzuweisen, während prima-philosophia-Konzepte geltend machen, alle Überlegungen, alles strukturierte Argumentieren (also auch das metakritische Argumentieren!) beruhten schlussendlich doch darauf, bestimmte Regeln, etwa die der Widerspruchsvermeidung, für wahr zu halten, weil sonst aller Argumentation die Grundlage entzogen wäre. Ein klassisches prima-philosophia-Theorem wäre z. B. die These, die Idee Rotheit existiere, da sonst nicht plausibel gemacht werden könne, warum ich verschiedenen Dingen die gleiche Eigenschaft zusprechen kann, während Metakritiker hier z. B. entgegnen, dass ich, indem ich überhaupt von „Ideen“ spreche, bereits Herrschaft ausübe und die komplexe, konkrete Realität gewaltsam homogenisiere. Historisch kann man den Streit prima philosophia versus Metakritik bis in die Antike verfolgen, dort vollzog sich die Debatte als Auseinandersetzung zwischen den sog. Sophisten und Sokrates. Dialektische Ansätze (Hegel, Marx, Adornos negative Dialektik) und auch existentialistische (Kierkegaard, Jaspers, Heidegger, Sartre) darf man als Versuch einer Vermittlung zwischen beiden Ansätzen deuten.
Zum logischen Ort der Philosophie: Philosophie versteht sich häufig, aber nicht immer, als Theorie über bestimmte Gegenstandsbereiche (als Metatheorie), also als ein systematischer Text über Welt, Mensch, Sprache etc. So wird die Moral z. B. in Sätzen wie etwa „Du darfst niemanden verletzen“ ausgedrückt, während die Ethik, also die Philosophie der Moral, Sätze von der Art „Der Satz ´Du darfst niemanden verletzen´ist richtig, weil…“ äussert. Dagegen machen Holisten (Holismus) wie etwa Quine geltend, dass philosophische Thesen gleichrangig und nicht etwa »über« naturwissenschaftlichen, künstlerischen oder sonstigen Texten stünden; sie alle dienten gleichrangig der Orientierung, indem wahre resp gut bestätigte Sätze über die Welt und die Stellung des Menschen in der einen großen Gesamttheorie formuliert werden. Wittgenstein wiederum ordnet die Philosophie neben alle möglichen Formen von Sätzen ein; ihr Ziel sei nicht das Gewinnen wahrer Sätze (gleichgültig, welchen logischen Ort diese Sätze einnehmen), sondern das »Klarwerden von Sätzen«. Die Diskussionen hierüber sind in Fluß.
Historisch darf man den Beginn eigentlichen Philosophierens – also die Preisgabe göttlicher Sicherheit und die Entdeckung der Ratio – auf das 6. Jh. v. Chr. veranschlagen (Vorsokratiker). Dabei bleibt in der Forschung bis jetzt offen, ob wir z. B. die ionischen Naturphilosophen als Philosophen oder als Naturwissenschaftler beschreiben müssen oder ob sich Philosophie und Naturwissenschaft dort noch nicht ausdifferenziert haben; begriffsgeschichtlich haben sich Philosophie und Naturwissenschaft erst viel später endgültig getrennt (so sah sich noch Newton als »Naturphilosoph«, Hume noch als »Wissenschaftler«), obwohl diese Trennung letztlich bereits in der antiken Philosophie vorliegen dürfte (vergl. Aristoteles Schrift »Physik« – die naturphilosophische, häufig eben naturwissenschaftliche Themen verhandelt, andererseits die »Metaphysik« – wo ontologische Themen untersucht werden). Im Rahmen des Ansatzes, aussereuropäischen Kulturen den ihnen gebührenden Rang zu geben, hat man seit einiger Zeit z. B. indische oder chinesische Philosophie (östliche Philosophie) gleichen Rang eingeräumt (Sandvoss 1991). Hier wird indessen von anderer Seite geltend gemacht, dass die aussereuropäischen Ansätze trotz unstreitig innovativer Ansätze - etwa im Bereich der Logik - letztlich eben die Entwicklung vom Mythos zum Logos nicht vollzogen, das genuine des Philosophierens also gerade nicht entwickelt haben (etwa Steenblock 2002). Disziplinen
Da ph. Theorien i. allg. nicht veralten, ist die Philosophiegeschichte der wichtigste Teilbereich der Ph., der die Gedanken der Philosophen und histor. philosoph. Systeme zu rekonstruieren und ihr Gehalt in die jeweilige Zeit zu transponieren versucht.
Die klassischen Hauptdisziplinen der systematischen Ph. sind die Logik, Metaphysik und Ethik. Zur theoret. Ph. zählen dabei neben den beiden erstgen. v.a. Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie und Ästhetik. Zur prakt. Ph. zählen alle i. w. S. von der Ethik abgeleiteten Disziplinen, wie die Rechts-, Staats- und polit. Philosophie, Geschichts-, Kultur-, Sozial- und Technikphilosophie. Interdisziplinär arbeiten Philosophische Anthropologie, Philosophie des Geistes und Religionsphilosophie
Literatur
Anzenbacher, Arno: Einführung in die Philosophie. 11. Aufl. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 2006, ISBN 3-451-27851-0 Faerber, rafael, Philosophische Grundbegriffe, 4., überarbeitete Auflage, München 1998 Hauk, Freimut, Faszination Philosophie, Reinbek 1998 Markos, Dimitrios, Protophilosophie, Frankfurt/Main, 1986 Sandvoss, Ernst R., Geschichte der Philosophie, München 1991 u.ö. Steenblock, Volker, Kleine Philosophiegeschichte, Stuttgart 2002 Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer. 12 Bde. Schwabe, Basel 1971-2004. Metzler-Philosophen-Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zu den neuen Philosophen. Hg. v. Bernd Lutz. 3., akt. u. erw. Aufl. Metzler, Stuttgart u. a. 2003, ISBN 3-476-01953-5 Grosses Werklexikon der Philosophie. Hg. v. Franco Volpi. Jubiläumsausg. A. Kröner, Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83901-6 Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begr. v. Friedrich Ueberweg. Völlig neubearb. Ausg. Bisher 5 Bde. ersch. Schwabe, Basel u. a. 1983ff. (s.a. alte Ausg., photomech. Nachdr. d. 12. Aufl. von 1924, Basel 1961) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Hg. v. Jürgen Mittelstraß. 4 Bde. Unveränd. Sonderausg. Metzler, Stuttgart u. a. 2004, ISBN 3-476-02012-6 (Neuaufl. seit 2005 in Arbeit, bisher 2 Bde. ersch.)
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